Präsens und Perfekt

Präsens: Sprechtempus = Gegenwart in der gesprochenen Sprache

„Dort fliegt ein Storch. Siehst du ihn?" — „Nein, warte einen Augenblick! Ohne

meine Brille kann ich ihn nicht sehen."

Perfekt: Sprechtempus = Vergangenheit in der gesprochenen Sprache „Gestern ist der erste Storch in diesem Frühjahr vorübergeflogen. Das hat mir meine Freundin gesagt. Aber ich habe ihn leider nicht gesehen, weil ich meine Brille nicht rechtzeitg gefunden habe."

Beide Zeiten, Präsens und Perfekt, beziehen sich in der gesprochenen Sprache aufeinander.

Präsens

Sprechtempus für gegenwärtige und zukünftige (siehe § 21) Handlungen, Vorgänge und Zustände.

„Heute Vormittag macht mein Sohn sein Examen. Er ist der Beste. Er schafft be­stimmt eine ausgezeichnete Note."

Schriftlich wird das Präsens verwendet

• in der direkten Rede

Es war ein bitterkalter Winter und das arme Mädchen rief: „Es ist Weihnachts­abend. Kauft mir doch ein paar Streichhölzchen ab."

• für alle Regeln und Gesetze

Wer einem anderen etwas stiehlt und dabei gefasst wird, wird bestraft.

für naturwissenschaftliche Erkenntnisse usw.

Die Erde dreht sich um die Sonne. Die Gravitation ist ein physikalisches Gesetz.

Weitere mögliche Verwendungen des Präsens in schriftlicher Form:

• für Inhaltsangaben einer Erzählung, eines Romans, einer Oper, eines Films, eines Theaterstücks usw.

Die Oper „Aida" von Verdi spielt im alten Ägypten. Der Prinz verliebt sich in Aida und kämpft um sie ...

• in Rezensionen, Kritiken im Radio, Fernsehen und in Zeitungen

Der Autor schreibt flüssig und elegant, aber es fehlt ihm an historischen Kenntnissen.

• auch in historischen Darstellungen wird manchmal des Präsens benutzt

Am Weihnachtsabend des Jahres 800 wird Karl der Große in Rom zum Kaiser ge­krönt. Der Papst setzt ihm die Krone auf das Haupt.

Perfekt

Sprechtempus für vergangene Handlungen, Vorgänge und Zustände.

(Siehe auch §21)

In der Schule habe ich mich immer gelangweilt. Wenn wir auf dem Schulhof Fußball

gespielt haben, hat der Hausmeister geschimpft ...

Schriftlich wird das Perfekt verwendet

• in der direkten Rede

Das arme Mädchen mit den Streichhölzern dachte: „Heute abend ist meine Großmutter gestorben. Sie hat mich lieb gehabt und mir alles gegeben."

• für allgemeine Aussagen, die vor dem Präsens liegen

Seit Emil von Behring einen Impfstoff gegen die Diphtherie entdeckt hat, sterben weniger Kinder an dieser schrecklichen Krankheit.

Präteritum und Plusquamperfekt

Präteritum: Schreibtempus für literarische und berichtende Texte

Es war einmal ein Fischer, der fing einen großen Fisch. Der Fisch öffnete sein Maul und sprach mit menschlicher Stimme.

Am 3. September begann die Konferenz in Tokio. Die Präsidenten aller asiati­schen Länder versammelten sich in dem prächtigen Saal und begrüßten einander feierlich.

Plusquamperfekt: Schreibtempus für alle Handlungen, Vorgänge und Zustände, die vor dem Präteritum liegen.

Es war einmal ein Fischer, der schon viele Fische gefangen hatte, aber so ein großer Fisch war ihm noch niemals vorher ins Netz gegangen. Am 3. September begann die Konferenz in Tokio. Obwohl die Präsidenten der asiatischen Länder vorher gegeneinander gestritten hatten, begrüßten sie sich freundlich.

Beide Zeiten, Präteritum und Plusquamperfekt, beziehen sich in der schriftlichen Sprache aufeinander.

Präteritum

Schreibtempus

• in der Prosaliteratur (in Romanen, Erzählungen, Geschichten). Die Verwendung der Tempusformen in der Literatur ist jedoch in hohem Maße eine Frage der Stilistik; es kommen alle Tempusformen vor.

• Nachrichten in den Zeitungen werden im Präteritum geschrieben, Nachrichten im Fernsehen im Präteritum vorgetragen.

Mündlich wird das Präteritum gebraucht

• bei der Wiedergabe von Märchen und Geschichten:

Die Großmutter erzählt: Es war einmal eine schöne Prinzessin. Sie lebte in ei­nem Schloss ...

• in Berichten über persönliche Erlebnisse in stilisierter Form:

Heute früh bin ich aufgestanden, aber plötzlich donnerte es an meiner Tür. Ich rannte hin und da stand . . .

In Briefen wechseln die Deutschen ziemlich willkürlich zwischen Perfekt und Präteritum. Gute Briefschreiber verwenden für ihre persönlichen Aussagen das Perfekt, gehen aber zum Präteritum über, sobald sie über ein Ereignis stilisierend berichten.

Plusquamperfekt

Schreibtempus

Diese vor der Präteritumhandlung liegende Zeitform wird fast ausschließlich schrift­lich in Nachrichten und der erzählenden Literatur gebraucht. (Ihre Verwendung in der Literatur ist allerdings nicht festgelegt. Der Gebrauch der Tempusformen unter­liegt oft dem persönlichen Stil des Autors.)

Er stand vor der Haustür, suchte in seinen Taschen, aber er fand seinen Schlüs­sel nicht, denn er hatte ihn am Morgen zu Hause vergessen.

Mündlich kann man das Plusquamperfekt verwenden, wenn vor der Perfekt-Handlung noch eine frühere Handlung liegt. Alles, was er mir damals erzählt hatte, habe ich mir gemerkt.

Anmerkungen

1 . Bei den Modal- und Hilfsverben gebraucht man in der gesprochenen Sprache besser das Präteritum statt des Perfekts.

Ich war unruhig (nicht: bin ... gewesen), weil ich meine Brille nicht sofort hatte (nicht: gehabt habe) und deshalb den Storch nicht sehen konnte (nicht: habe sehen können).

2. Bei längeren Passagen im Plusquamperfekt kann der Erzähler ins Präteritum wech­seln.

3. Zeitungs- und Fernsehnachrichten beginnen oft mit einem Satz im Perfekt. Danach wird wie üblich im Präteritum geschrieben.

Dreyer, Schmitt



Diese Seite als .PDF speichern