Die Zeit mag Wunden heilen, aber sie ist eine miserable Kosmetikerin.
Mark Twain
Vorbemerkungen
1. Die Modalverben geben an, wie eine Handlung objektiv beurteilt wird:
„Wie geht es dem alten Herrn?“ — „Er war schwerkrank, aber er kann sich wieder erholen.“
= Er ist dazu fähig, er ist kräftig genug, die Krankheit zu überstehen.
Ein Professor soll alles verständlich erklären. = Das ist seine Pflicht.
2. Dieselben Sätze können aber auch eine subjektive Aussage ausdrücken:
Der alte Herr ist schwerkrank, aber er kann sich (vermutlich) wieder erholen. = Das hoffe / vermute ich.
„Zu welchem Professor gehst du?“ — „Zu Professor M., er soll alles verständlich erklären.“
= Das haben mir andere Studenten gesagt, das habe ich gehört.
3. Bei Aussagen in der Gegenwart kann man den Unterschied zwischen der objektiven Bedeutung der Modalverben und der subjektiven Aussage nur aus dem Zusammenhang eines Textes oder eines Gesprächs entnehmen oder aus der Betonung beim Sprechen.
4. Bei einer Aussage über ein Geschehen in der Vergangenheit gibt es formale Unterschiede zwischen der objektiven und der subjektiven Aussage.
l Formen und Gebrauch
1. a) Die Modalverben zur subjektiven Aussage werden im Präsens gebraucht. Im Präteritum kommen sie nur in Erzählungen oder Berichten vor. Sie stehen im Hauptsatz in der Position II, im Nebensatz am Ende des Satzes: Er kann mich gesehen haben. Ich bin beunruhigt, weil er mich gesehen haben kann.
b) Bei subjektiven Aussagen über ein Geschehen in der Vergangenheit gebraucht man den Infinitiv Perfekt.
Infinitiv Perfekt Aktiv: gemacht haben, gekommen sein
Infinitiv Perfekt Passiv: gemacht worden sein
Vor 300 Jahren sollen Soldaten das Schloss völlig zerstört haben.
Vor 300 Jahren soll das Schloss völlig zerstört worden sein.
Eine Freundin fragt: „Warum ist deine Schwiegermutter nicht zu deinem Geburtstag gekommen?“ Darauf sind folgende Antworten möglich: a) Du weißt doch, wie beschäftigt sie ist. Sie muss einen dringenden Termin in ihrem Betrieb gehabt haben. = Das ist sehr wahrscheinlich.
Du weißt doch, dass sie kein Zeitgefühl hat. Sie kann wieder mal den Zug verpasst haben. = Das ist möglich.
Du weißt doch, dass sie Familienfeiern nicht schätzt. Wir verstehen uns gut, aber sie mag einfach keine Lust gehabt haben. = Vielleicht ist das so, aber es ist nicht so wichtig.
b) Du weißt doch, dass jetzt weniger gebaut wird, aber sie soll einen wichtigen Auftrag bekommen haben. = Das habe ich gehört, Bekannte haben es mir erzählt, aber ich weiß es nicht genau.
c) Du weißt doch, wie empfindlich sie ist. Ich habe ihr die Einladung ein bisschen zu spät geschickt, aber sie will sie erst nach meinem Geburtstag erhalten haben. = Das behauptet sie, ich glaube es aber nicht.
2. zu a) müssen, können, mögen drücken in der subjektiven Aussage eine Vermutung aus.
Lernhilfe: Das subjektive Modalverb müssen zeigt eine hohe Wahrscheinlichkeit an (etwa 90 %).
Das subjektive Modalverb können zeigt eine Sicherheit oder Unsicherheit von 50% zu 50 % an.
Das subjektive Modalverb mögen drückt ebenfalls eine Sicherheit oder Unsicherheit von 50% zu 50% aus, wobei es gleichgültig ist, ob etwas so oder anders ist.
zu b) sollen zeigt, dass die Aussage ein Gerücht ist: Man sagt, berichtet, erzählt etwas, aber genauere Informationen fehlen. Auch in Zeitungsmeldungen wird diese Aussageform oft gebraucht:
In Italien sollen die Temperaturen auf minus 20 Grad gesunken sein.
zu c) wollen zeigt, dass die Aussage eine unbewiesene Behauptung ist: /emondsagt etwas über sich selbst, er kann es nicht beweisen und man kann ihm auch nicht das Gegenteil beweisen. Oft wird diese Aussageform vor Gericht gebraucht:
Der Angeklagte will die Zeugin nie gesehen haben.
II Gebrauch der subjektiven Modalverben im Konjunktiv
Zur besseren Unterscheidung bei subjektiven Aussagen in der Gegenwart benutzt man das Modalverb oft im Konjunktiv II.
Jemand fragt: „Wo ist Frau M.? In ihrem Büro ist sie nicht.“ Darauf sind folgende Antworten möglich:
a) Sie müsste beim Chef sein, denn dort ist eine wichtige Besprechung. = Das ist sehr wahrscheinlich.
Sie könnte auch in der Kantine sein, denn dort ist sie meistens um die Mittagszeit.
= Das ist möglich.
b) Sie sollte (eigentlich) an ihrem Arbeitsplatz sein, denn die Mittagszeit ist schon vorbei.
= Das ist im Allgemeinen Pflicht, aber anscheinend wird die Regel nicht befolgt.
c) Sie arbeitet nicht mehr bei uns; sie dürfte schon über 65 sein.
zu b) sollte l sollen wird oft mit „eigentlich" verbunden. Damit drückt man aus, dass man ein anderes Verhalten für besser hält.
zu c) dürfte wird meistens in Bezug auf Zahlen und Daten verwendet, die man nicht so genau kennt. Es kommt aber auch in folgender Bedeutung vor: Das dürfte ihn interessieren. = Wahrscheinlich interessiert es ihn. Der Witz dürfte schon bekannt sein. = Wahrscheinlich ist er schon bekannt.
Dreyer, Schmitt, Seite 118
Схема степени уверенности, выражаемой модальными глаголами
muss — высокая уверенность (наверное, должно быть)
wird — высокая уверенность (по-видимому, наверное)
kann nicht — высокая уверенность в отрицательном результате (не может быть, чтобы)
müsste — очень правдоподобно и вероятно (по всей видимости, надо полагать)
dürfte — правдоподобно (по всей вероятности, видимо, очевидно)
könnte, kann — вполне возможно (возможно, не исключено, что)
mag — возможно (возможно, может быть, пожалуй)
soll — степень вероятности зависит от источника, поэтому не поддаётся определению (говорят, сообщают, по имеющимся сведениям, по преданию, будто бы)
will — скорее вряд ли, неправдоподобно (как утверждают, по словам, если верить, будто бы)
O.Djakonow, Deutsche Grammatik mit Spaß, 2013. — Seite 89